Liebe Freunde,
es gibt einen neuen Begriff, der „Homo contaminens“, der Ursprung liegt wohl irgendwo zwischen Philosophie und Satire. Welche Betrachtung lege ich auf meine Mitmenschen? Quelle meiner Freude oder Bedrohung? Wie fühle ich mich unter Menschen? Sicher? Unsicher?
Sicherheit ist wesentlich, ihr wisst schon, die Säbelzahntiger und Höhlenbären, die uns das Leben vermiesen wollen. Sicherheitsdenken ist gefährlich, weil es Leben verhindert, denn jedes Sicherheitskonzept dient dem Überleben. Also nackiges Leben ohne die Wonnezutaten. Logo, nix Leben, wenn das „über“ vorne dran fehlt, aber wollten wir nicht mal irgendwann mehr als nur überleben?
Das ist jetzt wieder mal so ein tricky Ding unseres Gehirns, das es gilt auszutricksen. Wenn ich ein Bedürfnis habe, sagen wir mal Trauben zu pflücken – cool, fast jeder kennt ja das Gleichnis vom Fuchs und den Trauben – und das geht nicht. OK, dann versuch ich das zuerst noch. Doch wenn das wirklich überhaupt gar nicht geht, dann fange ich an, mir einzureden, dass ich das ja gar nicht will. Also mir als Fuchs schmecken Trauben ja eh nicht. Doch unser Gehirn geht noch weiter als die Parabel. Es organisiert sich neu. Es gibt dann irgendwann tatsächlich das Bedürfnis nach Trauben auf und die lassen mich dann auch irgendwann komplett kalt.
Kennen die meisten, die mal gefastet haben: das Verlangen nach Essen wird tatsächlich weniger. Oder auch beim Rauchen aufhören, nur dass das seeehhhhr lange dauert…
Es passiert einfach, wenn die Unterdrückung eines Bedürfnisses lange genug dauert. Da zu dem Bedürfnis keine neuronalen Netz mehr aktiviert werden, schläft es ein und verschwindet ganz leise. Beim Rauchen ist das gut so. Beim Bedürfnis nach Kontakt, hmm, also wenn das verschwindet, haben wir echt ein Problem.
Ich kann aber eben auch entscheiden, dass mir ein Bedürfnis wertvoll ist und es so im Bewusstsein halten. Wenn zum Beispiel Liebende nicht zusammenkommen dürfen. Nur das kann eben weh tun und ist nicht leicht auszuhalten.
Deshalb geht das bei Kindern auch so schnell. Sie haben noch nicht gelernt mit ihrem Bewusstsein gegenzusteuern und auch nicht mit dem Schmerz umzugehen. Wird zum Beispiel einem Kind erzählt, dass es die Oma nicht mehr sehen darf, weil von ihm eine Gefahr für die geliebte Oma ausgeht, wird das Kind die Oma nicht gefährden wollen und das Bedürfnis nach Nähe unterdrücken, weil was sonst tun? Nur setzt dann dooferweise die neuronale Neustrukturierung und Entfremdung ein, wenn nicht kluge Erwachsene gegensteuern und das schmerzhaft nicht erfüllte Bedürfnis nach Nähe immer wieder wach kitzeln. Und so die Bindung aufrecht erhalten.
Viele von uns haben es erlebt, sich in der Kontaktsperrenzeit stärker als sonst mit Menschen die wir mögen in Verbindung zu bleiben – das ist sooo wichtig, denn wir sind soziale Wesen, also eher ein Homo contactus. Selbst wenn es manchmal stachelig wird. Es ist eines der Geschenke dieser Zeit, uns bewusst zu werden, wie wichtig Kontakt und Nähe sind – und dass wir etwas tun müssen, um unsere Kontakte zu halten.
Aber es geht noch um viel mehr, es gilt das ganze Bedürfnis nach Nähe zu erhalten. Unsere essentiellen Bedürfnisse nicht zu unterdrücken, um sie nicht zu verlieren. Auch wenn es weh tut. Sie wach und lebendig zu halten. Ich entscheide mich, welche neuronalen Muster ich haben möchte, indem ich genau diese füttere. Jeden Tag aufs Neue.
Und wenn ich nicht mehr weiter weiß und der Kopf verrückt spielt in diesen verrückten Zeiten und das Leben dem Überleben weichen will, dann atme ich tief durch, und verbinde mich mit dem klügsten meiner neuronalen Netze, meinem Herzen – mag sein, dass mein Gehirn optimiert ist auf Sicherheit und Überleben, aber mein Herz weiß immer, was ich brauche, um wirklich zu leben.
Miniminiübung für heute: Welches Bedürfnis ist dir wertvoll? Wenn dir jemand begegnet, einfach so irgendjemand, denke dir „oh, danke, du bist meine Erinnerung daran, dass dieses Bedürfnis mir wichtig und wertvoll ist“. Kannst du gerne ein paar mal wiederholen, es verankert sich dann besser.
Noch einmal Estas Tonne, kann ich gerade stundenlang hören, daher auch ein langes Konzert, Musik aus dem Herzen gespielt
https://www.youtube.com/watch?v=u3sujYAsM08
Und wer mehr über die Auswirkungen von Angst auf das Gehirn wissen möchte:Hirnforscher: Wie Masken Verhalten verändern. Interview mit Prof. Hüther
https://www.youtube.com/watch?v=YqTGlZdIjpY
Den Begriff des Homo contaminens habe ich bei Gunnar Kaiser gefunden, einem Lehrer der Philosophie mit einer fast schwindelerrregenden philosophischen Betrachtungsreise
https://www.youtube.com/watch?v=u11Dx9s3FQs
Mit liebendem Herzen
Karin